Theodor Storm                      Neuer Frühling

1817 -  1888

Der liebe Frühling kommt mit hellem Klange

Und streuet seinen Schmelz auf Hain und Triften;

Viel tausend Vögel wiegen sich in Lüften

Und feiern ihn mit lautem Freudensange. –

 

Auch du, mein Herz, ihn freundlich zu empfangen,

Aus starrer Trauer mußt du dich erheben!

Was willst du noch der alten Liebe leben,

Da rings umher nur frische Rosen prangen.

 

Und konne im Lenz die alte Lieb’ verglühen,

So mag die Trauer mit dem Winter schwinden;

Im neuen Lenz wird neue Lieb’ erblühen.

 

Es sind ja Blumen noch genug zu finden,

Der ganzen Flur ist neuer Schmuck verliehen!

Drum will auch ich aufs neu mir Kränze winden!

 

 

 

 

 

 

Theodor Storm                      Das Hohelied

1817 -  1888

Der Markt ist leer, die Bude steht verlassen,

Im Winde weht der bunte Trödelkram;

Und drinnen sitzt im Wirbelstaub der Gassen

Das schlanke Kind das Juden Abraham.

 

Sie stützt das Haupt in ihre weiße Hand,

Im Sturm des Busens bebt die leichte Hülle;

Man sieht’s, an dieser Augen Sonnenbrand

Gedieh der Mund zu seiner Purpurfülle.

 

Die Lippe schweigt; die schwarzen Locken ranken

Sich um die Stirn wie schmachtende Gedanken. –

Sie liest vertieft in einem alten Buch

 

Von einem König, der die Harfe schlug,

Und liebefordernd in den gold’nen Klang

Manch zärtlich Lied an Zions Mädchen sang.

 

 

 

 

 

 

 

 

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